BVerfG: Mordverdächtiger im Fall Möhlmann vorläufig freigelassen
„Ne bis in idem“ (lat. „nicht zweimal in der derselben Sache)
Bis 2021 galt dieser Grundsatz in Strafprozessen lediglich mit der Ausnahme von der sogenannten Wiederaufnahme, der besagt, dass niemand für dieselbe Tat zweimal bestraft werden darf. Der Gesetzgeber änderte nun diese Regelung mit einer weiteren Ausnahme, dass bei unverjährbaren Straftaten wie Mord oder Völkermord nach einem Freispruch eine Wiederanklage möglich ist, falls eine Verurteilung wegen Mordes sehr wahrscheinlich sei, etwa weil in der Zwischenzeit neue DNA-Spuren gefunden wurden. Diese Neuregelung in § 362 Nr. 5 StPO ist aufgrund des grundsätzlichen Verbots der Doppelbestrafung im Grundgesetze (Artikel 103 Absatz 3) aktuell noch verfassungsrechtlich hoch umstritten.
Im Fall Frederike von Möhlmann hat das Bundesverfassungsgericht nun jüngst entschieden, dass der mutmaßliche Täter, der sich seit Anfang des Jahres in Untersuchungshaft befindet, unter Auflagen erneut freizulassen ist.
Der Fall Frederike Möhlmann
Im November 1981 absolviert die 17-Jährige Frederike von Möhlmann aus Celle ihren Musikunterricht und begab sich anschließend auf den Nachhauseweg. Vier Tage später findet man ihre Leiche – offensichtlich erstochen und zuvor vergewaltigt worden.
Als Tatverdächtiger wird damals Ismet H. ermittelt und zu lebenslanger Haft verurteilt. Das BGH hob das Urteil aufgrund von Unstimmigkeiten mit Reifenspuren am Tatort auf. Es könne nicht zweifelsfrei festgestellt werden, ob Ismet H. wirklich am Tatort gewesen sei – das LG Stade sprach H. daraufhin frei. Eindeutige Beweise wie DNA des Täters am Opfer gab es damals noch nicht.
Erst 2012 gelang es Spermaspuren im Slip des Opfers sicherzustellen. Damals schützte der Grundsatz „ne bis in idem“ den mutmaßlichen Täter vor einer Wiederanklage.
Verdächtiger jetzt erneut auf freiem Fuß
Die Wiederaufnahme eines Strafprozesses war bis 2021 lediglich bei einem Geständnis des Täters, sowie gefälschten Aussagen oder Dokumenten möglich. Unter anderem der Vater von Frederike von Möhlmann, Hans von Möhlmann, setzte sich für die Gesetzesänderung ein, die es erlaubt etwa bei Mord einen erneuten Prozess anzustoßen.
Im Sommer 2021 beschloss die ehemalige Bundesregierung dann das „Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit“. Hierin wird festgehalten, dass bei unverjährbaren Straftaten eine Wiederaufnahme möglich ist, falls neue Tatsachen oder Beweismittel vorgelegt werden können. Im Fall Möhlmann also der Slip mit den DNA-Spuren des mutmaßlichen Täters. Das LG Verden eröffnete das Verfahren gegen Ismet H. Der Mann kam in Untersuchungshaft.
Die Beschwerde des Mannes gegen des Beschluss wies das OLG Celle zurück, woraufhin seine Verteidigung Verfassungsbeschwerde eingereicht, sowie Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, die Untersuchungshaft zu beenden gestellt.
BVerfG wiegt Folgen zugunsten des Angeklagten ab
Das Bundesverfassungsgericht entschied in einer knappen Entscheidung von fünf zu drei Richtern, den Verdächtigen aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Falls sich herausstellt, dass § 362 Nr. 5 StPO verfassungswidrig ist, säße Ismet H. monatelang zu Unrecht in Untersuchungshaft, was schwerer wiege, als wenn die Verfassungsbeschwerde später erfolglos wäre. Es müssten aber Maßnahmen getroffen werden, um das öffentliche Interesse an einer effektiven Strafverfolgung zu sichern. Ismet H. muss daher seine Papiere abgeben, ist in seiner Freizügigkeit eingeschränkt und muss sich regelmäßig bei Behörden melden.
Quellen
Freiheit für einen Mordverdächtigen (zeit.de; zuletzt aufgerufen am 22.08.2022)
BVerfG ordnet vorübergehende Freilassung des Verdächtigen in „Mordfall Frederike“ an (rsw.beck.de; zuletzt aufgerufen am 22.08.2022)
Verdächtiger im Mordfall Frederike wird freigelassen (faz.net; zuletzt aufgerufen am 20.08.2022)
BVerfG ordnet Freilassung von Mordverdächtigen an (lto.de; zuletzt aufgerufen am 20.08.2022)
Urteil des Bundesverfassungsgerichts (bundesverfassungsgericht.de; zuletzt aufgerufen am 20.08.2022)